Erklingen diese Worte, bricht erst einmal eine Welt zusammen: Multiple Sklerose. Nachdem der erste Schock überwunden ist, warten die Tücken des Alltags: Kann ich je wieder ein normales Familienleben führen? Was sage ich meinen Kindern? Muss ich meine Zukunftspläne aufgeben? Zwei erkrankte Blogger-Mamis erzählen mit viel Selbstironie und Lebensfreude, wie sie Krankheit und Kinder unter einen Hut bringen und wie ihre MS auch so manch positive Lebensveränderung bewirkt hat.

Multiple Sklerose Empfindungsstörung

Die ersten Symptome einer Multiplen Sklerose sind häufig Gefühlsstörungen in Händen und Füßen.

 

MS verändert alles: Diagnose und Symptome

Zwei Mütter, eine Diagnose: Multiple Sklerose. Bloggerin “Mama Schulze” und Angela von “Nähkästchen” teilen ein Schicksal und eine Sorge: Wie wird sich meine Krankheit auf meine Familienplanung auswirken?

[su_box title=“Multiple Sklerose“ style=“soft“ box_color=“#b73235″]MS – Encephalomyelitis disseminata – ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, deren genaue Ursache bisher nicht bekannt ist. Die Autoimmunkrankheit ist die zweithäufigste neurologische Erkrankung im frühen und mittleren Erwachsenenalter und hoch individuell ausgeprägt – von leichten körperlichen Beschwerden bis hin zur Schwerbehinderung. Zu den häufigsten Symptomen gehören Empfindungsstörungen an Armen und Beinen, Sehstörungen und Einschränkungen der Muskeltätigkeit, wie Spastik, Kraftlosigkeit, Lähmungen oder Koordinationsschwierigkeiten. Häufig ist auch eine Beeinträchtigung der Verdauungsfunktion sowie Antriebslosigkeit. Auch Aufmerksamkeit und Konzentration können beeinträchtigt sein. Es wird dabei zwischen einem schubförmigen und chronisch-progedientem Verlauf unterschieden. In Deutschland sind etwa 130.000 Menschen an MS erkrankt (Quelle). [/su_box]

Neuron Nervensystem

Bei MS kommt es zu Störungen im zentralen Nervensystem.

 

Mama Schulze: Ohnmacht und Erleichterung

Mit 31 Jahren erfuhr Bloggerin “Mama Schulze” von ihrer Krankheit: schubförmig remittierende Multiple Sklerose. Während das Krankheitsbild Traurigkeit und Ohnmacht auslöste, war auch eine andere, überraschende Emotion dominant: Erleichterung. Denn endlich hatte ihr Leiden einen Namen. Heute erinnert sie sich mit viel schwarzem Humor an diesen Tag:

In der Uniklinik wurde ich eine Woche lang auf den Kopf gestellt und verließ sie mit der gesicherten Diagnose. Übrigens genau am Welt-MS-Tag. Hineingegangen war ich in die Klinik am Welt-Hirntumor-Tag. Da habe ich doch Glück gehabt, oder?

Schulzes Symptome reichen von Gefühlsstörungen an den Händen über Kribbeln an verschiedenen Stellen des Körpers bis hin zu lokaler Schwäche.

Multiple Sklerose Traurigkeit

Die erste Reaktion auf eine MS-Diagnose ist häufig tiefe Traurigkeit und Ohnmacht. Doch auch das sind notwendige Stadien für die kommende Veränderung.

 

Bloggerin Angela: Verdrängung, Verleugnung, Verzweiflung

Ich dachte, ich müsse sterben“

Blogger-Mami Angela erfuhr schon viel früher von ihrer Krankheit. Die Diagnose löste bei ihr eine wahre Achterbahn der Gefühle aus:

Ich war Anfang 20, als ich mit starken Kopfschmerzen und einem Auge, mit dem ich kaum noch sehen konnte, in die neurologische Notfallambulanz fuhr. Dort beschlich die Ärzte wohl recht zügig der MS-Verdacht. Nach etlichen Untersuchungen stand es dann auch innerhalb von 48 Stunden fest: Ich habe Multiple Sklerose […]. Ich glaube, ich hatte damals wirklich Angst um mein Leben. Ich dachte, ich müsse sterben. Erst die Oberärztin, die später zu mir kam, konnte mich beruhigen. Sie klärte mich etwas über die Krankheit auf, versuchte, mir die Panik zu nehmen […]. Schlussendlich habe ich also sämtliche Phasen der Reaktion auf die Diagnose MS durchlebt. Angefangen bei Verdrängung, Verleugnung, Verzweiflung bis hin zur Akzeptanz.

Kann ich mit MS schwanger werden?

Sleeping family

Das erträumte Familienglück ist auch mit MS möglich.

 

Mama Schulze bereitete nach dem Vergehen der ersten Schocksymptome vor allem ihr Kinderwunsch große Sorgen. MS-Schwangerschaften werden von Ärzten zwar nicht als Risikoschwangerschaften eingestuft, allerdings müssen Körper und Medikamente vor einer möglichen Schwangerschaft schon gut eingespielt sein, damit die Medikamente für die Zeit der Schwangerschaft abgesetzt werden können. Bei Mama Schulze verlief trotz Bedenken alles nach Plan:

“Meine Schwangerschaften verliefen problemlos. Es ist meistens so, dass Schwangerschaften der Multiplen Sklerose guttun. Nicht immer, aber meistens […]. Ich hatte keine neuen Schübe, meine Läsionen sind sogar zurückgegangen. Und auch während der Stillzeiten ging es mir gut. Der positive Effekt von Schwangerschaften auf die Multiple Sklerose wird mittlerweile übrigens auch in Bochum von Dr. Kerstin Hellwig erforscht. (Mehr Infos zu MS und dem Kinderwunsch findet ihr auf dem Portal des Klinikums Bochum.)

Doch Multiple Sklerose verläuft sehr individuell. Bloggerin Angela litt sehr unter ihrer Schwangerschaft:

„Eigentlich ist man in der Schwangerschaft recht gut geschützt vor Schüben. Eigentlich. Ich nicht. Ich hatte mein damaliges Medikament rechtzeitig abgesetzt, habe sogar länger als die empfohlene Zeitspanne gewartet, bis ich schwanger wurde. Mit dem positiven Schwangerschaftstest begann dann auch der Schub. Er wollte auch nicht wirklich vorüber gehen.

So wuchs der Bauch und ich konnte immer schlechter laufen, schlussendlich auch nicht mehr richtig sehen. Was der Chefarzt der Klinik dann zum Anlass nahm, die kleine Maus fünf Tage vor dem errechneten Geburtstermin per Kaiserschnitt zu holen. So lag ich also in den darauf folgenden sieben Tagen mit dem Baby und einer Kortison-Infusion im Krankenhaus. Kurz darauf begann auch meine Basistherapie. Seit diesem Tag bin ich bis auf zwei kurze Ausnahmen schubfrei.“

Was sage ich meinen Kindern?

mutter kind gluecklich

Schonende Ehrlichkeit und Offenheit sind im Umgang mit der Krankheit und den Kindern zu empfehlen.

„Mama ist krank. Das ist nicht schlimm. Aber sie braucht deswegen mehr Ruhe als sonst.“

Mama Schulzes Kinder sind noch so klein, dass sie gar nichts von Mamas Krankheit mitbekommen. Allerdings hat sie eine strategische „Siesta“ eingeführt und auch gedanklich schon vorgesorgt:

„Gerade beginnt Frida mit knapp 4 Jahren, keinen Mittagsschlaf mehr zu machen. Dafür haben wir nun die „Siesta“ eingeführt. Das bedeutet, dass sie eine Stunde lang ruhig in ihrem Zimmer spielt und zum Beispiel ein Hörspiel hört. Das ist zum einen gut für Frida, damit sie auch eine kleine Auszeit bekommt. Aber auch für mich, damit ich mich ebenfalls in dieser Stunde ausruhen kann. Und mein Mann ist ebenfalls froh, denn er nutzt die Zeit ebenfalls zum Hinlegen. Das klappt zum Glück bisher ganz gut, ohne dass ich das mit der MS begründen müsste.

Sollte es irgendwann einmal soweit sein, dass ich aufgrund der Krankheit besondere zusätzliche Ruhezeiten brauche, würde ich es aber immer ansprechen, ohne Panik zu verbreiten: „Mama ist krank. Das ist nicht schlimm. Aber sie braucht deswegen mehr Ruhe als sonst.“ Denn die Kinder merken es sowieso, wenn es Mama nicht gut geht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es besser ist, es dann deutlich anzusprechen.“

Auch Angelas Tochter ist erst einige Jahre alt und deshalb noch zu klein, um die Krankheit zu verstehen. Doch Mamas Symptome wecken schon ihre kindliche Neugierde:

“Als ich bei meinem letzten Schub an drei Tagen zum Hausarzt und mir Infusionen geben lassen musste, kam sie mit. Sie war selbst krank und konnte nicht in den Kindergarten. Sie schaute anfangs interessiert auf die Infusion, doch das war auch schon alles. Ich gebe mir allerdings auch die größte Mühe, mir ihr gegenüber nie etwas anmerken zu lassen, wenn was nicht rund läuft. Ich erkläre ihr deshalb auch (noch) gar nichts. Sie ist dafür zu klein. Sicherlich wird irgendwann der Moment kommen, an dem ich/wir ihr sagen, dass Mama „anders-gesund“ ist.”

Muss ich jetzt meine Lebenspläne aufgeben?

Auch wenn MS erst einmal alles auf den Kopf stellt und man vor allem in den ersten Tagen mit den düsteren Prognosen der Ärzte konfrontiert wird, gibt es keinen Grund, in seinem Leben die „Stopp“-Taste zu drücken. Ganz im Gegenteil: Die Diagnose liefert oftmals den nötigen Anstoß, um zu erkennen, was einem im Leben wirklich wichtig ist. Für Mama Schulze war das der Kinderwunsch, weshalb sie den Beruf erst einmal auf Eis legte. Angelas Berufswunsch hingegen hat sich durch die Krankheit nur verfestigt:

„Ich wollte seit meiner Kindheit Grundschullehrerin werden. Dieses Ziel habe ich konsequent verfolgt. Die Diagnose MS bekam ich mitten im Studium. Trotzdem stellte sich nie die Frage, ob ich deswegen überhaupt weiter machen sollte. Das war immer klar und ich hegte nie Zweifel, dass ich wegen der Krankheit nicht „lehrer-tauglich“ bin.

Auch die weitere Lebensplanung hat die Diagnose nie beeinflusst. So habe ich beispielsweise trotzdem ein Kind bekommen, habe seit fast 15 Jahren einen Mann an meiner Seite, mit dem ich seit knapp fünf Jahren verheiratet bin. Wir leben ohne Großeltern-Unterstützung in einer größeren Stadt, ich bin nach Abschluss der 1,5-jährigen Elternzeit wieder arbeiten gegangen. Ich lebe also, was die Rahmenbedingungen betrifft, genauso wie eine Gesunde.“

Fazit: Die Krankheit für sich nutzen lernen

„Ich beschäftige mich lieber damit, was trotzdem alles geht.”

Hoffnung Wuensche Zukunft

„Nichts ist sicher, alles ist möglich“: Dieses südamerikanische Sprichwort umschreibt die Tücken des Lebens sehr treffend. Vor allem für MS-Patienten heißt das: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!

 

Nach Jahren mit der Krankheit sind sich Angela und Mama Schulze einig: Ein Familienleben mit MS ist nicht nur möglich, sondern erstrebenswert.

Einige Dinge haben sich für die Blogger-Mamis im Umgang mit der Krankheit besonders bewährt und gelten natürlich auch für andere Schicksalsschläge:

1. Bloggen

Sich den Frust von der Seele zu schreiben hat Mama Schulze und Angela aus der schweren Zeit herausgeholfen und schenkt ihnen auch heute noch Optimismus und Motivation. Diese neu entdeckte Leidenschaft ist nicht nur eine Art Selbsttherapie, sondern vernetzt die beiden auch mit anderen Müttern, die Ähnliches durchmachen. Das macht Mut.

Mama Schulze nutzt ihren Blog aber auch dazu, über MS-Missverständnisse aufzuklären: „Viele denken bei Multipler Sklerose direkt an Muskelschwund (nein, MS ist nicht Muskelschwund) oder den Rollstuhl. Dabei ist nur ein Bruchteil der MS-Betroffenen auf den Rollstuhl angewiesen.“

2. Auch mal abschalten

Mama Schulze vermeidet es, sich ständig mit der Krankheit und ihren Folgen zu beschäftigen. Denn die daraus resultierenden negativen Gefühle bremsen bloß:

“Ich möchte mich nicht ständig damit beschäftigen, was aufgrund der Multiplen Sklerose irgendwann alles nicht mehr möglich ist. Ob diese Beeinträchtigungen wirklich irgendwann einmal bei mir eintreten werden, weiß ich heute nämlich nicht. Ich beschäftige mich lieber damit, was trotzdem alles geht.”

3. Pläne und Ziele machen

Egal, was die behandelnden Ärzte über den Zustand der Krankheit in einem, zwei oder zehn Jahren zu wissen glauben: Ziele braucht der Mensch! Sie sind nämlich in ihrer Wirkungskraft nicht auf die Zukunft beschränkt, sondern motivieren uns im Hier und Jetzt, und der daraus gewonnene Optimismus wirkt Wunder.

4. Die nötigen Veränderungen als Geschenk sehen

Die Diagnose Multiple Sklerose erfordert ein Umdenken auf allen Ebenen des Lebens. Im Zentrum steht eine sofortige Reduktion aller möglichen Stressoren. Stress ist Gift. Ich versuche, mein Leben, so gut es eben mit zwei Kindern und Job geht, zu entschleunigen. Früher fand ich es toll, ‚auf allen Hochzeiten zu tanzen‘. Heute achte ich sehr darauf, dass ich zusätzlich nicht noch Freizeitstress habe“, so Mama Schulze.

Doch auch auf eine gesunde Ernährung und viel Sport achtet die Blogger-Mutter mittlerweile dank MS:

„Mittlerweile weiß auch die Forschung: Insbesondere Getreide und Zucker nähren die MS und sind daher nicht gut […]. Sport habe ich bereits vor der Diagnose regelmäßig betrieben: Joggen, Yoga und Schwimmen. Nachdem die ersten starken Gefühlsstörungen aufgetreten waren, bin ich allerdings nicht mehr gejoggt. Weil ich sie bei Wärme stärker spüre. Erst vor einem Monat habe ich gemerkt, dass sie zwar während des Joggens massiver, aber dafür danach und am Folgetag fast komplett weg sind. Daher versuche ich nun, ein- bis zweimal die Woche joggen zu gehen.

Mittlerweile belegen auch Studien zu MS und Sport, dass bei sportlichen Betroffenen die körperlichen Einschränkungen geringer sind. Auch der Verlauf der Krankheit ist bei ihnen weniger schwer. Daher ist der Antrieb zum Sport heute natürlich ein anderer als früher.“

Wir danken ganz herzlich für das Gespräch und wünschen unseren Blogger-Mamis weiterhin viel Kraft und Erfolg auf ihrem erstaunlichen Weg!

 

 

 

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